La valla es europea. Der Zaun ist europäisch. La recinzione è europea.

 

HD-Video, 13min 47sec, 2011-2024

 

 

Die Grenze, mit der sich Johanna Tinzl und Stefan Flunger in ihrer auf zwei Tablets gezeigten Videoarbeit beschäftigen, ist alles andere als unsichtbar. Bereits 2011 ließen sie sich von einem Taxifahrer den Zaun zeigen, der die spanische Exklave Melilla von Marokko trennt. In einfachen, aber eindringlichen Worten erklärt er seinen ortsfremden Fahrgästen, wie sich die Europäische Union an dieser Stelle durch dieses kostspielige Projekt abschottet, den Zugang streng reglementiert.

 

Jeweils synchronisiert mit einer künstlichen Stimme, erinnern die für diese Ausstellung neu entstandene italienische und deutsche Version an die Anweisungen eines Navigationsgeräts. Damals, vor mehr als zehn Jahren, hofften die Künster:innen, dass dies der letzte Zaun sei, der an den Außengrenzen der EU gebaut wurde. Inzwischen kamen weitere hinzu und die Arbeit ist aktueller denn je.

 

Text: Linnea Streit, 2024

 

 

» (…) Die Beiträge der teilnehmenden KünstlerInnen zu «A Sense of Place» generieren in der Ausstellung ein Zusammentreffen von künstlerischen Argumenten zu den genannten Problemen der Ortsbezogenheit und «Transportfähigkeit» bestimmter Methoden. Johanna Tinzl und Stefan Flunger (A) lassen den Text ihres Videos «Der Zaun ist europäisch», das sie an der marokkanisch-spanischen Grenze mit dem Kommentar eines spanischen Taxifahrers gedreht haben, von einem Taxifahrer aus Kärnten neu sprechen und stellen so eine Verbindung von Grenz- und Migrationspolitiken an den Rändern und im Inneren Europas her. (…)«

 

Textauszug: Christian Kravagna, Kunstraum Lakeside Klagenfurt, 2012

 

 

Mit ihrer jüngst entstandenen Werkserie bewegen sich Johanna Tinzl und Stefan Flunger wörtlich wie im übertragenen Sinn entlang der Außengrenzen der Europäischen Union. Dort, wo meterhohe Zäune, Barrikaden und militärische Patrouillen verhindern sollen, dass ZuwanderInnen aus nicht-europäischen Staaten die topografischen und/oder politischen Grenzen Europas überschreiten und von der einen auf die andere Seite flüchten, extrahieren die KünstlerInnen strukturelle Ähnlichkeiten zwischen den von ihnen besuchten Orten und präsentieren sie als visuelle Essenzen ihrer Reisen im Ausstellungsraum.

Das Thema »Übersetzung« fassen sie dabei nicht nur sprachlich, sondern vor allem als räumliches und formal-ästhetisches Prinzip, um vielschichtige Situationstransfers zu erzeugen. Das Moment des Übertragens und Interpretierens, das bei der Übersetzung maßgeblich ist, wird etwa im Video »La valla es europea. Der Zaun ist europäisch.« evident. Während einer Taxifahrt entlang des Zauns zwischen Marokko und der spanischen Exklave Melilla lassen Tinzl und Flunger den von ihnen engagierten Taxifahrer in einfachen Worten die Komplexität und Brisanz der politischen Situation in Nordafrika erklären. Damit auch die nicht-spanischsprachigen Fahrgäste verstehen, was er zu sagen hat, kommentiert der Chauffeur auf eindringliche Weise die meterhohen, in drei Reihen arrangierten und mit Natodraht bestückten Wälle während der gesamten Fahrt.

Die BetrachterInnen des Videos bekommen aber nicht die Sprache des Mannes aus Melilla zu hören, sondern die deutsche Transkription, die von einem hiesigen Taxifahrer eingesprochen wurde. Mit »La valla es europea. Der Zaun ist europäisch.« brechen Johanna Tinzl und Stefan Flunger mit rein dokumentarischen Strategien im Kunstraum, indem sie bewusst keine Geschichten von aktuell betroffenen ImmigrantInnen dokumentieren, um diese für ihre Kunst zu verdinglichen. Die Sprache des Taxifahrers aus der spanischen Exklave wird dazu benutzt, eine Verbindung zwischen den Lebensrealitäten an den Europäischen Außengrenzen und jenen in Mitteleuropa herzustellen. Zeigen die KünstlerInnen dieses Video an einem anderen Ort, so wird der Text des Mannes aus Melilla auch in die jeweilige Landessprache übersetzt und von einem ortsansässigen Taxifahrer nachgesprochen.

 

Text: Franz Thalmair 2012