So sah sie aus, mein Kind, diese Welt

 

Audio-visuelle Collage, VBKÖ, Wien, 2009-2011

Dauer: 23’15’’

 

2 Audiocollagen mit Interviewpassagen aus 2 Gespächen:

Erzählende vom 16.04.2010 in Wien: Helga Pollak-Kinsky

Erzählende vom 12.06.2010 in Brünn: Anna Flachová-Hanusová, Helga Pollak-Kinsky und Ela Stein-Weissberger

 

3 SW-Kopien von Collagen von Friedl Dicker-Brandeis aus der »Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlung und Archiv«:

»So sieht sie aus, mein Kind, diese Welt«, 1932-1933 (Originalgröße: 120x100 cm)

»Das Bürgertum faschisiert sich«, 1932-1933 (Originalgröße: 120x90 cm)

»So leben Kinder«, 1932-1933 (Originalgröße: 120x90 cm)

 

Raumelemente mit Recherchematerialien

 


Die audio-visuelle Collage »So sah sie aus, mein Kind, diese Welt«, die im Rahmen der Jahresausstellung 2011 in der VBKÖ gezeigt wird, bezieht sich auf eine in Wien entwickelte Collage der Künstlerin Friedl Dicker, die als SW-Fotokopie in der Installation zu sehen ist: »So sieht sie aus, mein Kind, diese Welt«, entstanden in den Jahren 1932-1933. Durch die Verschiebung des Verbs »sehen« in seine Vergangenheitsform, wird deutlich, daß die Erzählungen von drei Frauen, die über zwei Lautsprecher hörbar sind, ihren persönlichen Rückblick öffnen:

 

Anna Hanusová-Flachová, Helga Pollak-Kinsky und Ela Stein-Weissberger sprechen über ihre Erlebnisse und Erfahrungen, die sie während ihrer Internierung als Kinder im Ghetto Theresienstadt hatten, als sie Friedl Dicker-Brandeis kennenlernten und ihren Zeichenunterricht besuchten.

 

Friedl Dicker-Brandeis stellte 1926 im Rahmen der Jahresausstellung in der VBKÖ aus.

 

Friedl Dicker-Brandeis (* 1898 in Wien) wurde als Jüdin und politische Widerstandskämpferin, die 1936 von Wien nach Prag geflüchtet war, gemeinsam mit ihrem Mann Pavel Brandeis von Hronov/Mettau in der Nähe von Prag 1942 nach Theresienstadt deportiert. Dort gelang es ihr Zeichenkurse für Kinder zu organisieren. Zudem gestaltete Friedl Dicker-Brandeis auch Bühnenbilder und Kostüme für Theateraufführungen in Theresienstadt. Kurz vor ihrer Deportation im Oktober 1944 nach Auschwitz, schaffte sie es rund 4000 Kinderzeichnungen in Theresienstadt zu verstecken. 1944 wurde die Innenarchitektin, Designerin, Malerin und Graphikerin Friedl Dicker-Brandeis in Auschwitz ermordet.

 

Anna Flachová-Hanusová (* 1930 in Polski-Tešin) wurde mit dem ersten Familientransport aus Brünn im Dezember 1941 nach Theresienstadt deportiert. Sie war eines der ersten Kinder im Lager und wurde »Flaška« gerufen. Ihr Quartier wurde das Zimmer 28 im Mädchenheim L 410 am Marktplatz, in dem später auch Helga Pollak und Ela Stein lebten, und wo sie alle Freundinnen wurden. Flaška überlebte den Holocaust in Theresienstadt, wo sie im Mai 1945 befreit wurde. Sie wurde Pianistin, Sängerin und Professorin für Gesang und Klavier. Gemeinsam mit ihrem Mann dem Oboisten Vítěslav Hanuš absolvierte sie Gastspiele und längere Auslandsaufenthalte in Peking (China), Beirut (Libanon) und Sydney (Australien). Seit 1970 lebt und arbeitet sie in Brünn.

 

Helga Pollak-Kinsky (* 1930 in Wien) mußte als 8-jähriges Mädchen nach Brünn bzw. Kyjov/Gaya emigrieren. Gemeinsam mit ihrem Vater und ihren Verwandten wurde sie im Jänner 1943 nach Theresienstadt deportiert. Dort besuchte sie mit anderen Kindern den geheimen Unterricht - auch den Zeichenunterricht bei Friedl Dicker-Brandeis. Oft gemeinsam mit Flaška und Ela. Sie schrieb während ihrer Internierung Tagebuch, das die Grundlage für das Buch »Die Mädchen von Zimmer 28: Freundschaft, Hoffnung und Überleben in Theresienstadt« (www.room28projects.com) bildet und von Hannelore Brenner-Wonschick verfasst wurde. Helga Pollak wurde im Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert. Bei der Selektion wurde sie einer Gruppe von Frauen zugeteilt, die für Zwangsarbeit in Oederan in Sachsen vorgesehen waren, wo sie in einer Munitionsfabrik arbeiten mußten. Ende April 1945 wurde sie mit einem Elendstransport zurück nach Theresienstadt deportiert, wo sie gemeinsam mit ihrem Vater die Befreiung erlebte. Heute lebt und arbeitet sie nach Zwischenstationen in Bangkok (Thailand) und Addis Abeba (Äthiopien) seit 1957 in Wien.

 

Ela Stein-Weissberger (* 1930 in Lom u Mostu/Bruch bei Brüx) flüchtete, nachdem die Nationalsozialisten ihren Vater Max Stein »verschwinden« haben lassen, nach den Vorkommnissen der »Reichskristallnacht« 1938, als 300 Nazis ihr Haus kurz und klein geschlagen hatten, mit ihrer Mutter und ihrer Schwester nach Prag. Von dort scheiterte 1939 ihre Emigration in die USA. Gemeinsam mit ihrer Mutter, Großmutter, ihrem Onkel und ihrer Schwester wurde sie im Februar 1942 nach Theresienstadt deportiert. Sie trat in der Rolle der »Katze« in der Kinderoper »Brundibár« auf, zusammen mit Flaška, die im Chor der Schulkinder sang. Nach ihrer Befreiung gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Schwester im Mai 1945, lebte sie in Prag, wo sie ab 1947 eine Kunstschule für Keramik und Porzellan besuchte. Sie wanderte 1949 nach Israel aus, seit 1958 lebt und arbeitet sie in den USA in der Nähe von New York.