Zur Ausstellung »BLOCK« von Johanna Tinzl und Stefan Flunger
Folder zur Ausstellung (download als pdf)
2022, a new European order /
Robot guards patrolling the border /
Cybernetic dogs are getting closer and closer /
Armored cars and immigration officers /
A burning village in Kosovo /
You bombed it out, now you're telling us go home /
Machine guns strut on the cliffs of Dover /
Heads down, people look out, we're going over /
Zwei Bilder, die einander ähneln wie widersprechen: auf der einen Seite der Kegel eines Leuchtturms, der sein rhythmisches Licht über den Nachthimmel zieht – auf der anderen ein Radar, das seinen Schatten in wiederkehrenden Schleifen auf den mittäglichen Sandstrand wirft; auf der einen Seite eine historische Architektur, die Reisenden in der Nacht bei der Orientierung hilft – auf der anderen eine Technologie, die der Überwachung Reisender dient; auf der einen Seite das französische Calais – auf der anderen das britische Dover; auf der einen Seite das marokkanische Tanger – auf der anderen das spanische Tarifa; auf einer Seite Europa – auf der anderen: nicht Europa.
Mit der Ausstellung »BLOCK« bewegen sich Johanna Tinzl und Stefan Flunger wörtlich wie im übertragenen Sinn entlang der Außengrenzen der Europäischen Union. Dort, wo meterhohe Zäune, Barrikaden und militärische Patrouillen verhindern sollen, dass ZuwanderInnen aus nicht-europäischen Staaten die topografischen und/oder politischen Grenzen Europas überschreiten und von der einen auf die andere Seite flüchten, extrahiert das Künstlerpaar strukturelle Ähnlichkeiten zwischen den von ihnen besuchten Orten und präsentiert sie als visuelle Essenzen ihrer Reisen im Ausstellungsraum. Das Thema »Übersetzung« fassen sie dabei nicht nur sprachlich, sondern vor allem als räumliches und formal-ästhetisches Prinzip, um vielschichtige Situationstransfers zu erzeugen: von der einen Seite auf die andere Seite über-setzen.
Burnin' up, can we survive re-entry /
Past the mines and the cybernetic sentries /
Safe European homes built on wars /
You don't like the effect, don't produce the cause /
The chip is in your head, not on my shoulder /
Total control just around the corner /
Keep banging on the wall of Fortress Europe /
Die Videoinstallation »Tarifa-Calais« (2011) ist an der Nord-Süd-Achse der Ausstellungsräume ausgerichtet und bildet den Rahmen für die Schau mit dem bedrohlichen Titel »BLOCK«. Als Block an zwei einander gegenüberliegende Wände projiziert, stellen Johanna Tinzl und Stefan Flunger mit den kurzen Videoloops von Überwachungsarchitekturen an den südlichen und nördlichen Grenzverläufen von Europa die Kompromisslosigkeit nach, die die Bewachung dieses politisch motivierten Konstrukts im vergangenen Jahrzehnt charakterisiert. Der Leuchtturm an der Grenze von Tanger nach Tarifa soll MigrantInnen aus dem Maghreb und Afrika aufspüren und davon abhalten, sich über Südspanien am Kontinent auszubreiten – das Radar an der Grenze von Calais nach Dover macht Flüchtlinge sichtbar, die ihren Weg von den ehemaligen britischen Kolonien über Frankreich in das Land der Kolonisatoren suchen. Die beiden KünstlerInnen machen ihre Kritik an den europäischen Strukturen, die hinter den heimlich manifester werdenden Kontroll- und Abwehrmechanismen stehen, aber weniger an der Architektur selbst fest. Sie benutzen hingegen das kontrastierende Spiel mit Licht, Schatten, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit dazu, jene Bilder nachzuzeichnen, die diese Instrumentarien produzieren. Durch die gegenüberliegende Positionierung der Videobilder im Ausstellungsraum zwingen sie überdies die BesucherInnen den Weg von Süden nach Norden, also von Tanger/Tarifa nach Calais/Dover, zu beschreiten und sich auf diese Weise ein Stück weit auf dieselbe Route zu begeben, die auch MigrantInnen einschlagen.
We got a right, know the situation /
We're the children of globalization /
No borders, only true connection /
Light the fuse of the insurrection /
This generation has no nation /
Grass roots pressure the only solution /
We're sitting tight /
Cause asylum is a right /
Am Boden zwischen den beiden Videos von »Tarifa-Calais« und in den gesamten Ausstellungsräumen verstreut, befindet sich feiner Sand, der auf den Saum zwischen Wasser und Festland entlang der topografischen Grenzen der Europäischen Union anspielt. Zusätzlich zur formalen Gleichschaltung der Videobilder durch die Präsentation als Endlosschleifen, gelingt es Johanna Tinzl und Stefan Flunger durch den installativen Eingriff in die räumlichen Strukturen zwei Orte miteinander in Verbindung zu setzen und den Transfer – die Übersetzung von Süd nach Nord – in nachvollziehbare Bilder zu fassen. Am Boden direkt vor den beiden Videos befinden sich zwei Objekte, die Bezug aufeinander nehmen und die zwei Räume miteinander in Kontakt treten lassen: Auf der einen Seite ist ein Plastiksack zu sehen, mit dem das Künstlerpaar während einer Reise Steine vom albanischen Strand nach Österreich brachte. Die vor allem in den 1990er-Jahren brisante Grenze zwischen der Westküste Albaniens und der nur wenige Kilometer entfernten Ost- und Südküste Italiens war neben Calais/Dover und Marokko/Spanien immer ein weiterer neuralgischer Punkt innerhalb europäischer Migrationsbewegungen.
Gegenüber vom beiläufig wirkenden Plastiksack präsentiert sich ein Objekt mit dem Titel »Operatives Risiko« (2011). Während der Plastiksack auf der einen Seite leer ist und die Rolle des Künstlerpaars als außenstehende TouristInnen anreißt, beinhaltet das Metallobjekt auf der anderen Seite jene Steine, die von Johanna Tinzl und Stefan Flunger ursprünglich im Plastiksack transportiert wurden. »Operatives Risiko« nimmt wiederum die technoid wirkende Gestalt eines Details vom so genannten Natodraht auf. Die Widerhaken dieses Sperrzauns, der allerorts als Bollwerk zum Schutz der »Festung Europa« Verwendung findet, werden aus ihrem Kontext genommen, vergrößert und als bewegliches Objekt im Ausstellungsraum präsentiert. Durch die hin- und herwogenden Steine produziert »Operatives Risiko« schließlich ein dem Meeresrauschen zwar ähnliches jedoch gleichermaßen künstlich-bedrohliches Geräusch. »Am Festland verwendet man Natodraht, um Zäune und Mauern auszustatten«, so Johanna Tinzl und Stefan Flunger über die Arbeit: »Ist das Meer aber die Grenze, so wird selbst das Wasser zur Klinge.«
Burnin' up can we survive re-entry /
Past the land mines and cybernetic sentries /
Plane, train, car, ferry boat or bus /
The future is bleeding coming back at us /
The chip is in your head not on my shoulder /
Total control around the corner /
Open up the floodgates, time's nearly up /
Keep banging on the wall of Fortress Europe /
Im räumlichen wie konzeptuellen Zentrum der Ausstellung »BLOCK« haben Johanna Tinzl und Stefan Flunger das Objekt »Sturm« (2011) sowie das Video »La valla es europea. Der Zaun ist europäisch.« (2011) positioniert. Eine Leiter versperrt BesucherInnen zuerst den Weg. Das Objekt, mit dem sich das Künstlerpaar auf einen Massenansturm von MigrantInnen mit selbst gebauten Leitern auf den Zaun zwischen der spanischen Exklave Melilla und Marokko im Jahr 2005 bezieht, nimmt beim Betreten des Raums vorweg, wie die beiden übersetzerische Methoden von einem ausschließlich sprachlichen in einen räumlichen Kontext transferieren. Den spanischen Begriff »clandestino« (heimlich), der zur Bezeichnung illegaler ImmigrantInnen benutzt wird, konterkarieren die KünstlerInnen, indem sie die Leitern, die von den Flüchtlingen aus Holz und Plastik gebaut wurden, aus Baumstämmen und Leuchtstoffröhren re-konstruieren und re-modellieren.
Das Moment des Übertragens und Interpretierens, das bei der Übersetzung maßgeblich ist, wird schließlich im Video evident. »La valla es europea. Der Zaun ist europäisch.« zeigt eine Taxifahrt entlang desselben Zauns zwischen Marokko und Melilla, der beim Betreten des mittleren Ausstellungsraums bereits mit der Leiter aufgegriffen wurde. Die Komplexität und Brisanz der politischen Situation in Nordafrika wird während der Fahrt vom Taxifahrer erklärt: in einfachen Worten, sich permanent wiederholend und wieder von Vorne beginnend. Damit auch die nicht-spanischsprachigen Fahrgäste verstehen, was er zu sagen hat, kommentiert der Chauffeur auf diese eindringliche Weise die meterhohen, in drei Reihen arrangierten und mit Natodraht bestückten Walle während der gesamten Fahrt. Die BetrachterInnen des Videos bekommen aber nicht die Sprache des Mannes aus Melilla zu hören, sondern die deutsche Transkription, die von einem Innsbrucker Taxifahrer eingesprochen wurde. »Bei diesem Video geht es uns auch darum, mit rein dokumentarischen Strategien im Kunstraum zu brechen«, so Johanna Tinzl und Stefan Flunger, die bewusst keine Geschichten von aktuell betroffenen ImmigrantInnen dokumentieren wollten, um diese für ihre Kunst zu verdinglichen. Die Sprache des Taxifahrers aus der spanischen Exklave wird jedoch dazu benutzt, eine Verbindung zwischen den Lebensrealitäten an den Europäischen Außengrenzen und jenen in Mitteleuropa herzustellen. Zeigt das Künstlerpaar dieses Video an einem anderen Ort, so wird der Text des Mannes aus Melilla auch in die jeweilige Landessprache übersetzt und von einem ortsansässigen Taxifahrer nachgesprochen.
They got a right, listen not to the scaremonger /
Who doesn't run when they're feel the hunger /
From where to what to when to here to there /
People caught up in red tape nightmare /
Break out of the detention centers /
Cut the wires and tear up the vouchers /
People get ready it's time to wake up /
Tear down the walls of Fortress Europe /
Ähnlich wie beim Video »La valla es europea. Der Zaun ist europäisch.« agieren Johanna Tinzl und Stefan Flunger bei der Installation »Azimuth« (2010/2011). Auch hier war es eine bewusste Entscheidung, keine Einzelschicksale zu thematisieren, sondern auf die Geschichte namenloser Personen zurückzugreifen. Bei der Installation, die in der Ausstellung »BLOCK« gegenüber einer der Videoarbeiten von »Tarifa-Calais« positioniert ist und diese widerspiegelt, handelt es sich um eine Serie von Platten aus Messing und Eisen, die im ehemaligen kartografischen Institut in Wien begonnen wurde und nun jährlich um einige Objekte erweitert wird. Ausgangspunkt für das Rechercheprojekt sind seit 1993 von der in Amsterdam ansässigen NGO »United« gesammelte Daten über Menschen, die beim Versuch Grenzen zu überqueren ums Leben kommen. Eine Auswahl dieser tausenden von Schicksalen namenloser Flüchtlinge, die im Zusammenhang mit der Militarisierung der Grenzen, durch Asylgesetze, in Flüchtlingslagern, Schubhaft und Abschiebungen zu Tode kamen, hat das Künstlerpaar auf den von ihnen produzierten Plaketten geritzt und mit dem so genannten Azimut versehen. Bei diesem in der Kartografie üblichen Rechenwerkzeug, handelt es sich um den im Uhrzeigersinn gemessenen Winkel zwischen dem geografischen Norden und einer beliebigen Richtung auf der Erde. Johanna Tinzl und Stefan Flunger haben den örtlichen Ausgangspunkt der Menschen als inhaltlichen Ausgangspunkt für ihre künstlerische Arbeit genommen und die Richtung bemessen, in die sie aufgebrochen sind. »Die Migrationsbewegung geht vor allem vom Süden in den Norden – das wird bei dieser Arbeit offensichtlich«, stellt das Künstlerpaar über »Azimuth« fest: »Außerdem lasst sich ablesen, wie sich die europäische Grenzgeschichte verändert. Im Jahr 1994 kamen beispielsweise auch an der österreichisch-ungarischen Grenze einige Menschen ums Leben – damals war die Europäische Union noch kleiner.«
Auf der einen Seite die angestrebte Richtung Norden – auf der anderen Seite der Ausgangspunkt im Süden; auf der einen Seite grenzüberschreitende Globalisierung und Netzwerkkapitalismus – auf der anderen Seite Natodraht und Barrikaden; auf der einen Seite Europa – auf der anderen: nicht Europa und weitaus mehr als nur zwei Bilder, die einander ähneln wie widersprechen.
Dis is a 21st century Exodus /
Tear down the walls of Fortress Europe /
Dis is a 21st century Exodus /
We got the right! /
Keep banging /
Keep banging on the wall /
Of Fortress Europe /
Let's say it again! /
Text: Franz Thalmair, 2011
[Alle Zitate stammen aus: Asian Dub Foundation, »Fortress Europe«, 2003]